Silkes persönlicher Bericht

Ich sitze auf dem Balkon in Karlshagen. Meerblick, Sonne, Urlaub. Und mache einen Versuch, meinen größten sportlichen Erfolg in Worte zu fassen. Denn das nehme ich mal vorweg. Es war mein größter Erfolg, ich habe das so nicht erwartet – ich habe mich in der Tag selbst überrascht.

Es wird sehr persönlich, es soll ja meine Sichtweise werden.

Die letzte Woche vor dem Start:

Trotz des täglichen Laufes beherze ich endlich einen wichtigen Ratschlag von Grit Seidel. Ausgeruht an den Start gehen, wirklich heiß aufs Laufen sein. Ich bin maximal 5-7 Kilometer täglich gelaufen in der letzten Woche, total locker. Etwas ungewöhnlich schien mir am Wochenende vor dem Start, als ich während des 24- und 12-Stundenlaufes in Berlin mit Axel ein paar Trainingsrunden drehte, dass mir ein für mich doch relativ hohes Tempo leicht von der Hand ging und ich selbst dabei noch den Mund aufbekam. Ich nahm es mal so hin. Offenbar deutet sich aber schon da eine gute Laufform an. Der letzte wirklich lange Lauf waren die 50 Kilometer beim Thüringen-Ultra gewesen. Auch diese hatten sich gut angefühlt, konnten mit einem guten Endspurt trotz Profil gelaufen werden. Das soll reichen zu den Vorzeichen. Jetzt beginnt der Lauf und ich fange gleich mit der ersten Etappe an und lasse mal die Begrüßungen weg.

Start ab 2010 am Berliner Dom. Eine schöne Örtlichkeit. Und am Sonntagmorgen sehr idyllisch und beinahe ruhig. Die Startfotos auf der Treppe des Museum werden repräsentativ sein – das kann ich mir da schon vorstellen. Es ist mein Wetter. Leichtes Frösteln aber doch Sonne. Noch unter 20 Grad. Ich laufe nach dem Startschusslocker los und merke gleich wie leicht es geht. Bis zum ersten VP bei Ecky nach etwa 9 Kilometern habe ich ein Tempo von unter 5:30er Schnitt. Trotz Ampeln und Straßenverkehr. Wobei sich das ja am Sonntagmorgen alles in Grenzen hält. In Pankow kommt mir eine Bernauer Lauffreundin entgegen und begleitet mich für etwa 5 Kilometern. Ist arg erstaunt über das hohe Tempo. Es bewegt sich streckenweise gar im 5 Minutenbereich. Das wird aber durch kurze Stopps immer relativiert. Am VP in Zepernick bei den Bernauer Lauffreunden ist es immer noch im 5:30er Bereich. Schon 25 Kilometer sind absolviert. Ich bin jetzt ziemlich euphorisch. Fange aber nach Bernau an den Steigungen mit kurzen Gehpausen an. Das Anlaufen lässt sich aber immer wieder gut bewältigen, die Gehpausen sind kurz. Das Verpflegen klappt hervorragend. Sprudelwasser, Cola, Orangen, Melonen. Keine feste Nahrung. Salztabletten an zwei Stellen. Ich kann immer viel trinken. Muss natürlich wegen der Kohlensäure kurz langsam machen aber merke, dass mir die Getränke bestens bekommen. In Eichhorst eine bewegende Begrüßung durch Norbert, Marlies, Wolfgang und noch mehere der Eberswalder Läufer. Das gibt Kraft. Immer wieder sage ich mir: ich will mal eine Etappe gewinnen und das wird heute schon werden. Wie weit die anderen Frauen weg sind, das weiß ich nicht. Ich frage auch niemanden. Wäre auch umständlich zu erfahren. Ginge ja nur über Anfragen an zurückliegenden Posten per Handy. Soviel Aufhebens will ich lieber nicht. Das letzte Stück stecke ich mir Kopfhörer in die Ohren. Wolfgang ist ein angenehmer Begleiter. Sagt kein Wort. Merkt, dass ich in Ruhe gelassen werden will. Ein erfahrener Läufer eben. Fährt mit seinem Rad ein Stück voraus, macht Bilder. Im Ziel in Eichhorst denke ich noch, naja – das war doch ein Auftakt. Und egal was jetzt passiert, ich habe auch mal eine Etappe gewonnen. Dann sitze ich noch eine Weile im Ziel und warte. Aber keine weitere Frau kommt an. Dann gehe ich in die Badewanne und als ich fertig und sauber bin merke ich, dass ich mich wesentlich besser fühle als man das nach 65 Kilometern erwarten würde. Ich erfahre jetzt, dass ich bereits eine Stunde Vorsprung vor der nächsten Frau habe und Grit gibt mir Empfehlungen für den weiteren Rennverlauf. Taktisches Laufen empfiehlt sie. 2 langsame Etappen und Ausruhen. So gut man das kann bei Läufen über 66,7 und 72 Kilometern. Ich darf am 2. Tag in der schnellen Gruppe starten. Das lohnt sich eigentlich auch nur hier. Durch das Hotel kann man in der Tat eine Stunde länger schlafen. Und ich bin wie erwartet in der schnellen Gruppe ziemlich am Ende. Nur ein Läufer ist noch nach mir. Ich kann aber hervorragend damit umgehen und merke, dass mir das nichts ausmacht. Als ich dann die ersten Läufer der frühen Startgruppe einhole ist es natürlich noch motivierender. Das beginnt schon nach 25 Kilometern. Auch heute ist das Wetter noch lauffreundlich, wenngleich etwas wärmer. Aber das Verpflegen klappt wieder bestens. Am VP 4 erfahre ich von Jörg, dass ich bereits weiteren Vorsprung gut gemacht habe. Als ich in Warnitz eine Eisfahne sehe krame ich mein Kleingeld raus und gönne mir ein Wassereis. Oh wie gut das tut. Als ich dann etwa 10 Kilometer vor dem Ziel die gestrige zweite und dritte Frau überhole (die beide in der früheren Startgruppe waren), da bin ich total überrascht. Das letzte Stück bis Prenzlau zieht sich etwas, hier am See im Schilf ist es recht drückend. Aber ich mache mir gute Gedanken. Ich denke daran, dass ich mir heute ein Eis holen lassen werde im Ziel. Und das klappt. Nun habe ich auf die zweite Frau im Gesamtfeld schon 1 und eine ¾ Stunde Vorsprung. Das klingt viel.

Im Ziel habe ich schon jetzt ein Ritual. Duschen, Laufsachen waschen, viel trinken. Beine mit Arnika einreiben. Eiweiß und Magnesium nehmen. Füße pflegen. Ruhen.

Tag 3. Längste Etappe. Etwas unruhig. Aber wieder flott los. Noch ist es kühl. So lange es kühl ist beschließe ich schnell zu laufen. Ich werde dann später drosseln. Drosseln müssen. Diesmal sinkt der Schnitt von anfangs 5:35 auf im Ziel 6:40er. Klingt dramatisch – ist es aber nicht. Denn an jedem VP ab VP 3 gibt es für mich ein kurzes Sitzen und Entspannen. Ruhiges Verpflegen, viel viel trinken. Denn heute ist es heiß. Das macht mir wie immer zu schaffen. Und es ist die längste Etappe. Aber auch heute klappt es immer wieder mit dem Anlaufen. Die Gehpausen sorgen für Erholung, die langen Geradeauspassagen werden gelaufen, sonst ziehen sie sich zu sehr. Am VP 6 nehme ich mir kein Getränk mehr mit für unterwegs denn es wird angesagt, dass es einen Zwischenposten gibt. Leider hat dieser aber seine Stelle nicht gefunden und ich werde nach einer Weile leicht panisch. Ich hätte gern was getrunken. Kann aber durchaus einordnen, dass es sich nur so anfühlt, weil ich es halt erwartet hatte. Es würde auch so gehen. Als mir aber Jörg im Auto entgegen kommt und dann eine Flasche Selter rausgereicht wird, da bin ich doch sehr erleichtert. Dabei wäre in 2 Kilometern auch der VP gewesen. Nun kann ich diesen aber zügig ansteuern. Dort nochmal gut versorgen und erfrischen und dann alles daran setzen, dass eine Zeit mit einer 7 vorn rauskommt. Das motiviert mich auf dem letzten Stück durch die vielen Menschen in Ueckermünde und vor allem gelingt es auch. Im Ziel ein geniales Getränk. Frozen Cappuccino. Ich genieße.

Dann das Ritual. Wie jeden Tag. Beim Essen auch darauf achten, dass es genau die richtige Menge ist. Und versuchen zu schlafen.

Am nächsten Morgen ist leider auch wieder warm. Und heute wird es zwar die landschaftlich schönste Etappe geben aber leider auch wenig Schatten nachher. Ich stürme wie jeden Tag vorneweg. Mir macht das einfach Spaß und ich muss auch so viel Strecke wie möglich in den kühleren Morgenstunden hinter mich bringen. Aber das Stück durch den Sand im Naturschutzgebiet ist recht hart. So versuche ich mich auf die schöne Umgebung zu konzentrieren und das Lauftempo deutlich zu reduzieren. An der Anklamer Fähre nochmal gut versorgen. Jetzt kommt ein weniger schönes Stück auf schiefen Betonplatten. Nicht daran denken. Einfach traben. Nicht gehen. Sonst dauert es zu lange. Anklam. Kurz setzen, erfrischen. Die VPs wissen inzwischen, was ich zu mir nehme, denn es ist immer das gleiche und so hält mir die liebe Nicole schon immer meinen Becher Sprudel und dazu Cola entgegen. Herrlich. Es ist immer eine kurze Erholung wenngleich es sicher höchstens 2 Minuten sind, die ich mich dort aufhalte. Mein Highlight auf der vorletzten Etappe ist immer die Überquerung der Zecheriner Brücke. Wieder die Insel zu Fuß erreicht. Schon da steigen kurz Tränen auf. Ab da fliege ich beinah dem Ziel entgegen. Komme auch heute wieder gut an. Tempo wieder im 6:30er Bereich. Alles fein. Nun ist der Vorsprung schon so groß, dass er wohl eher nicht mehr aufzuholen wäre. Ich gestatte mir aber zu keinem Moment einen Gedanken daran. Da bin ich abergläubisch. Abgerechnet wird im Ziel, man kann stürzen oder was weiß ich.

Im Gasthaus Natzke kann ich mich diesmal nicht so lange aufhalten. Ich bin doch recht erschöpft, möchte lieber liegen. Aber nach wie vor habe ich keinerlei Beschwerden. Gute Beine, keine Probleme. Letzter Tag. Nicht mehr so heiß. Glückliches flottes Loslaufen. Schöne Wegstrecke. Wieder ist das Tempo recht hoch. Bis ans Meer. Das erreiche diesmal als dritte Person. Nur Martin und Micha sind vor mir. Leichter Niesel. Herrlich. Wenige Touristen. In Bansin bei Hanka gibt es Sekt. Nun – für mich nicht. Noch nicht. Mein Arbeitstag ist noch nicht beendet. Denn ich habe nun nicht mehr so viel Wegstrecke und kann neben einem Sieg noch daran denken auch eine gute Gesamtzeit zu erreichen. Heute wird nur an den Steigungen gegangen. Sonst nicht. Diese gibt es zwar nicht wenig auf dieser Etappe aber sie sind ja nicht lang. Am letzten VP bei Irene und Jürgen in Zinnowitz beginnt schon das Kribbeln. Aber noch immer bin ich hochkonzentriert. Jürgen war aufgefallen, dass ich in diesem Jahr viel schweigsamer am VP 7 bin aber er kann es schon einordnen. Ich bin schon sehr konzentriert auf den Lauf. Aber diese letzten 7 Kilometer, die sind ein einziges Glücksgefühl. Dennoch habe ich noch ein Ziel. Heute soll eine 5 vorn stehen. Und insgesamt eine 33. Nur noch an diese Zahlen denkend stapfe ich durch den tiefen Sand des letzten Stücks. Das erfordert schon noch mal alles. Aber dann die Promenade. Ich fliege, ich fliege. Ich habe eine dicke Gänsehaut. Und schaffe alles, was ich wollte. Die 5, die 33 und nicht zu vergessen – ich habe wirklich gewonnen. Alles andere sagen die Bilder.

Kristallpokal, Gutschein für ein Wochenende für 2 Personen im 4 Sterne Hotel in Heringsdorf und – viel wichtiger – ein unbändiges Glücksgefühl, was mir niemand mehr nehmen kann. Ich habe mich wirklich selbst überrascht.

Eure Silke – die jetzt an den Strand geht

Tags: keine

1 Kommentar

  1. KupferschmidtJ
    geschrieben am 3. August 2010 um 18:19 Uhr | Permalink

    Hallo Silke,
    ein toller Bericht, hat spass gemacht ihn zu lesen. da kommt man sich vor als wen man schon wieder unterwegs ist.

    Gruß John

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